Wie alles begann
Nun ja, also...
Es begab sich, daß ich an einer Entwicklerkonferenz in London teilnehmen mußte, um ein für den Apple Macintosh (damals Mac
II, oder für Leute mit viel Geld Mac IIx) entwickeltes Hardwareboard zu testen. Zu dieser Zeit hatte ich, obwohl ich in Bezug auf Computerhardware ziemlich auf dem Laufenden war, keine Ahnung von
der Existenz des Apple Newton. Soweit zu Apple’s Marketing... Als ich mich zu Beginn der Konferenz registrieren ließ, empfahl mir der Mitarbeiter von Apple, der mir den Ausweis gab, unbedingt darauf
aufzupassen und ihn auf keinen Fall zu verlieren. Da ich ohne diesen Ausweis an keiner Veranstaltung hätte teilnehmen können, schien mir diese Strategie ohnehin naheliegend und ich dachte nicht
weiter über diesen seltsamen Ratschlag nach. Am dritten Tag lud Apple zu einem zwanglosen gemeinsamen Abendessen, an dem jede Menge Hardwareentwickler und Mitarbeiter von Apple teilnahmen. Irgendwann
kurz nach der Vorspeise trat ein Mitarbeiter von Apple in die Mitte des Raumes und begann, eine Rede zu halten. Was er zu sagen versuchte (dachte ich), war, daß Apple uns etwas schenken wollte, das für
mich aussah wie ein billiges, nutzloses und entfernt einem Kugelschreiber ähnelndes Plastikteil. Während er dieses Teil einige Minuten lang umherschwenkte und in den höchsten Tönen pries, kam ich immer
mehr zu dem Schluß, daß es sich hier wohl um irgendeine amerikanische Form eines blöden Witzes handeln mußte.
Am Schluß seiner Rede, mehr beiläufig in einem Nebensatz, murmelte er: “Ok, Ihr könnt auch den Newton haben!” Man stelle sich nun neunundneunzig Hardwareentwickler vor, die einstimmig Geräusche von
sich geben wie “Aaaahhh”, “Oooohhh” oder “Wooow”. Sowie einen weiteren Entwickler (mich), der mit eher mäßig intelligentem Gesichtsausdruck seinen Nebenmann fragt: “Wovon um alles in der Welt redet der
Typ, und was zum Teufel ist ein Newton?” Zu dieser Zeit kannte ich genau zwei Newtons: Isaac und Helmut. Ich bezweifelte stark, daß Apple einen der beiden an hundert Hardwareentwickler verschenken
würde, daher war es mir immer noch ein Rätsel, worum es hier überhaupt ging. Aber ich verhielt mich ruhig, denn die neunundneunzig anderen Entwickler um mich herum sahen aus, als ob der Weihnachtsmann,
inklusive Schlitten und aller Rentiere, gerade direkt über ihren Teller gefahren wäre. Eine Schlange begann sich zu bilden, und da ich sowieso gerade nicht besonders viel zu tun hatte, reihte ich mich
ein. Langsam bewegte sie sich in Richtung des Mitarbeiters, der versucht hatte, uns von den Vorteilen des Kugelschreibers zu überzeugen. Neben ihm war ein riesiger Karton, und als ich dran war, gab er
mir daraus ein nagelneues OMP (Original MessagePad). Originalverpackt (allein die Plastikhülle um den Karton würde bei eBay heutzutage ein Vermögen bringen). Komplett mit vier Batterien, einem Handbuch,
einer Videokassette und einem Netzteil. Nicht zu vergessen die beiden Aufkleber, die ich bei eBay schon mal für 15 Dollar habe versteigert werden sehen, und eine Ledertasche. An dieser Stelle kam
übrigens der Ausweis wieder ins Spiel. Man mußte ihn vorzeigen, bevor man den Newton bekam, und danach knipste der Mitarbeiter ein Loch hinein, um zu verhindern, daß sich jemand ein zweites Mal anstellte.
Ungefähr fünfzehn Minuten später beamten hundert Hardwareentwickler ihre Visitenkarten durch den Raum. Niemand kannte die Reichweite der Infrarotverbindung, einige versuchten, wie weiland Jesse
James, aus der Hüfte quer durch den Raum zu beamen. Was selbstverständlich nicht funktionierte, genau wie Beamen auf kürzere Distanz. Kein Wunder, denn jeder empfangende Newton hatte durchschnittlich die
Auswahl aus 50 Sendern... Das schien aber niemanden zu stören. Alle, mich selbst mittlerweile inbegriffen, sahen immer noch so aus, als ob der Weihnachtsmann... (naja, Sie wissen schon...). Nach
dem Abendessen nahm ich dieses “Ding” mit ins Hotel. Zu dieser Zeit hatte ich mich noch nicht so recht mit ihm anfreunden können, ich hielt es für ein nettes Spielzeug. Dann entdeckte ich, daß es
meine Handschrift entziffern konnte. Dann entdeckte ich auf einer ROM-Karte, die dem Paket beilag, Calligrapher. Ein Spiel, mit dem man üben konnte, so zu schreiben, daß die Handschrifterkennung gut
funktioniert. Ich spielte Calligrapher, bis die Batterien leer waren, das war gegen drei Uhr morgens. Ich zog in Erwägung, unter Verwendung des Netzteils weiterzuspielen, aber es war die amerikanische
Variante, die in einem Londoner Hotelzimmer nutzlos ist. Da ich um 5:30 Uhr aufstehen mußte, war das wahrscheinlich ein Segen. Am nächsten Morgen ließ ich das Frühstück aus und rannte stattdessen mit
einem Newton (minus vier leere Batterien) herum, um im Hotelkiosk drei Batteriesätze zu einem Preis zu erstehen, zu dem ich anderswo wahrscheinlich fünfzehn bekommen hätte (es war eines jener Hotels, in
dem ein Croissant dreißig Mark kostet, ohne Kaffee selbstverständlich). Von da an war ich am Haken. Nicht nur, was den Newton anging, sondern auch im Bezug auf die hinter diesen Organizern stehende
Philosophie. Das OMP (das ich immer noch besitze) wurde abgelöst von einer Serie weiterer MessagePads (100, 110, 120, 130, 2000) und einem eMate. Nicht zu vergessen die gelegentlichen Organizer anderer
Familien wie Palm, Psion, Avigo, Omnigo, Sharp, ...
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